Fahrzeugdaten als Burnout-Frühwarnsystem der Zukunft?

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Burnout kommt bei Berufskraftfahrern immer häufiger vor und ist längst kein Randthema mehr. Was aktuell noch durch aufwendige psychologische Tests erkannt wird, könnte künftig durch intelligente Technologie revolutioniert werden. Moderne Fahrzeuge sammeln bereits unzählige Daten über das Fahrverhalten ihrer Nutzer. Kombiniert man diese Datenerhebung mit der aktuellen Zukunftsforschung in diesem Bereich, ergibt sich ein großes Potenzial. 

Denn bei der Analyse von Telematik-Daten, wie auch beim Fahrerkarte Auslesen, haben Forscher in einer Studie Zusammenhänge zwischen Stress-Symptomen und messbaren Fahrmustern entdeckt. Die Technologie ist aktuell zwar noch nicht bereit für medizinische Diagnosen, doch aktuelle Forschungsprojekte zeigen in diesem Bereich bereits Erfolge bei der Früherkennung. Was Frühwarnsysteme basierend auf Fahrzeugdaten in Zukunft bieten könnten, behandeln die weiteren Abschnitte dieses Artikels.

Stress-Indikatoren im Fahrverhalten wissenschaftlich nachweisbar

Stress lässt sich anhand des Fahrverhaltens feststellen. Das hat die Wissenschaft bereits eindeutig belegt. Welche Studie? Es geht um jene, die von der Bundesanstalt für Straßenwesen mit 555 LKW-Fahrern durchgeführt wurde.

Sie zeigte drei Dinge bei Fahrern: Gestresste Fahrer entwickeln aggressive Einstellungen, reagieren konfrontativ gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und ermüden häufiger beim Fahren. Sie neigen außerdem zu schnellerem Fahren, Drängeln, riskanten Überholmanövern und häufigeren Rotlichtverstößen.

Wann wird es besonders problematisch? Bei der Informationsverarbeitung: Das Gehirn kann nur 2 bis 5 Informationen pro Sekunde verarbeiten. Wird diese Schwelle überschritten, versteifen sich die Bewegungen und die Reaktionsgenauigkeit leidet erheblich. Die Studie identifizierte des Weiteren sechs verschiedene Fahrertypen. Von diesen Fahrertypen machen der „Draufgänger-Typ“ und „gestresste Typ“ zusammen etwa ein Drittel aller Fahrer aus, die überdurchschnittlich viele Fahrfehler begehen.

Pionier-Forschung zu medizinischer Fahrzeug-Sensorik läuft bereits

Es gibt ein weiteres Forschungsprojekt, und zwar von der Charité Berlin und BMW. Es verwandelt Fahrzeuge quasi in rollende Gesundheitszentren. Hierbei wird ein Auto speziell ausgerüstet, sodass es Vitalparameter wie Hautleitfähigkeit, Herzfrequenz und Atemfrequenz erfassen kann und das ohne direkten Körperkontakt. Die Daten werden unter realen Bedingungen gesammelt, sprich im normalen Straßenverkehr, im Stand und auf Testanlagen.

Bei dieser Studie nehmen sowohl gesunde Menschen als auch Personen mit erhöhtem Herzrisiko oder bestehenden Vorerkrankungen teil. Um für die Studie zugelassen zu werden, müssen die Teilnehmer zuvor klinisch umfassend untersucht worden sein. Die Studienleiter teilen sich die Arbeit folgendermaßen auf: Professor Alexander Meyer von der Charité prüft, wie zuverlässig die Vitalwerte in verschiedenen Verkehrssituationen gemessen werden können, und BMW-Projektleiter Matthias Franz prüft die fahrzeugeigene Sensorik und vergleicht diese mit etablierten medizinischen Geräten.

Herzfrequenzvariabilität als etablierter Burnout-Frühindikator

Bei gesunden Menschen variiert die Herzfrequenz ständig. Sie passt sich automatisch an verschiedene Situationen an. Gesteuert wird diese Anpassungsfähigkeit über das vegetative Nervensystem. Wenn nun jemand konstant unter unkompensierter Anspannung leidet, zeigt sich eine deutlich verringerte HRV. Durch diese niedrige Variabilität lässt sich eine körperliche und psychische Erschöpfung frühzeitig erkennen, bevor es zu einem ausgeprägten Burnout oder gar einer Depression kommt.

Hierzu gibt es eine Faustregel: je höher die HRV, desto gesünder ist das Herz-Kreislauf-System. Mit anderen Worten: Je flexibler das Herz auf Aktivitäts- und Erholungsphasen reagieren kann, desto widerstandsfähiger ist der gesamte Organismus gegen Stress. In Zukunft könnten moderne Fahrzeuge theoretisch HRV-Messungen über Lenkradsensoren oder integrierte Wearables durchführen.

Aktuelle Grenzen: Keine direkte medizinische Diagnose möglich

Bis Fahrzeuge Diagnosen zu Burnout und ähnlichen gesundheitlichen Problemen durchführen können, ist es noch mehr oder weniger ein langer Weg. Denn eine echte Burnout-Diagnose erfordert derzeit validierte medizinische Messinstrumente. Hierzu zählen das Maslach Burnout Inventory mit 22 gezielten Fragen zu emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierter Leistungsfähigkeit.

Auch die Wissenschaft ist sich noch nicht ganz einig. Es gibt noch kein gemeinsames Verständnis über ein methodisch fundiertes Modell der Früherkennung von beruflichem Burnout. Das gilt besonders für das präklinische Stadium ohne objektive Symptome. Über Fahrzeugdaten ließen sich zwar Stress-Indikatoren wie aggressives Fahrverhalten oder unregelmäßige Herzfrequenz erfassen, jedoch haben diese Signale viele mögliche Ursachen.   Auch rechtlich wäre das eine Herausforderung. Denn Fahrzeugsysteme dürfen ohnehin keine medizinischen Diagnosen stellen. Vorausgesetzt die Rechtslage bleibt gleich, könnte die Technologie in Zukunft lediglich als Frühwarnsystem dienen, das auf auffällige Muster hinweist.

Der realistische erste Schritt: Präventive Warnsysteme

Bereits in der Gegenwart können moderne Telematiksysteme kontinuierlich Fahrzeugdaten in Echtzeit erfassen und bei Abweichungen von normalen Parametern automatisch Warnungen ausgeben. Kombiniert man das mit digitalen Fahrtenschreibern, die Arbeitszeiten und Pausenregelungen überwachen, können solche Systeme Disponenten frühzeitig auf überlastete Fahrer aufmerksam machen.

Bei einigen Speditionen sind Fahrstilanalyse-Programme bereits im Einsatz, die auffällige Verhaltensmuster identifizieren und sogar Prämiensysteme für entspanntes Fahren einsetzen.  Diese präventiven Ansätze sind technisch machbar und rechtlich unbedenklich. Der Grund: Sie stellen keine medizinischen Diagnosen, sondern weisen lediglich auf Risikofaktoren hin. Stellen Systeme beispielsweise häufig starkes Bremsen oder aggressives Beschleunigen fest, können sie Pausen vorschlagen oder Vorgesetzte informieren.

Benjamin Krischbeck
Benjamin Krischbeckhttps://7trends.de
Benjamin Krischbeck, Jahrgang 1977, lebt mit seiner Familie in Augsburg. Als freier Journalist schrieb er bereits für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, taz – die tageszeitung, Berliner Zeitung, Spiegel Online und die Süddeutsche Zeitung. Der studierte Wirtschaftsjurist liebt ortsunabhängiges Arbeiten. Mit seinem Laptop und Coco (Zwergpinscher) ist er die Hälfte des Jahres auf Reisen.

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