Retro im Aufwind – alte Gewohnheiten werden wieder modern

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In einer Welt, die sich immer schneller dreht, wächst der Wunsch nach Dingen, die Bestand haben. Es ist kein Zufall, dass sich gerade jetzt ein Rückblick auf alte Gewohnheiten etabliert, der nicht rückwärtsgewandt ist, sondern bewusst gewählt wird. Das Analoge erlebt eine stille Renaissance – als kulturelle Gegenbewegung zur digitalen Dauerverfügbarkeit.

Analoge Kultur als Statement

Ob Schallplatten, Sofortbildkameras oder handgeschriebene Notizbücher – was lange Zeit als veraltet galt, wird heute mit einer neuen Wertigkeit betrachtet. Es geht nicht nur darum, Altes wiederzuentdecken, sondern vielmehr darum, die Qualität des Moments zu erhöhen. Das Auflegen einer Platte etwa verlangt Zeit und Aufmerksamkeit. Es ist kein beiläufiges Klicken auf Play, sondern ein kleines Ritual. Wer sich dafür entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig gegen die Beliebigkeit des digitalen Konsums.

Selbermachen als neue Haltung

Diese Haltung lässt sich auch in alltäglichen Handlungen beobachten – das eigene Brot zu backen oder Gemüse einzulegen, hat längst nichts mehr mit Notwendigkeit zu tun. Im Selbermachen liegt ein Reiz, den industrielle Fertigung nicht bieten kann. Das Selbermachen wird zur stillen Rebellion gegen standardisierte Massenprodukte. Selbst Genussgewohnheiten, die gesellschaftlich eher kritisch gesehen werden, folgen diesem Trend. So greifen einige Raucher inzwischen zur Stopfmaschine, nicht aus ökonomischem Kalkül allein, sondern weil sie Kontrolle und Individualität zurückgewinnen möchten. Die Zigarette wird dadurch nicht gesünder – aber sie wird wieder ein Produkt eigener Entscheidung. Der Akt des Herstellens ersetzt das gedankenlose Zugreifen, das Maßlose, durch ein bewusstes Tun.

Fehler werden wieder sympathisch

Interessant ist auch, dass gerade jene Dinge wiederkehren, die nicht perfekt sind. Die Kassette zum Beispiel – anfällig für Bandsalat, begrenzt in der Tonqualität – wird gerade wegen ihrer Fehler geschätzt. Sie zwingt zur Auswahl, zum bewussten Hören und zum Umgehen mit Begrenzung. Dieses Umdenken prägt viele Lebensbereiche. Man trägt Kleidung, die nicht aus der aktuellen Kollektion stammt, sondern eine Geschichte erzählt. Man gestaltet Wohnräume mit Möbeln vom Flohmarkt, restauriert und nicht ersetzt. Man nimmt sich Zeit, wo man sie sich eigentlich nicht mehr nehmen müsste – gerade weil darin ein Wert liegt, der über Funktionalität hinausgeht.

Die Rückkehr des bewussten Konsums

Retro ist längst mehr als nur ein Stil – es ist ein gelebter Konsumansatz. Secondhand-Kleidung boomt nicht nur aus Nachhaltigkeitsgründen, sondern weil sie Individualität bietet und Geschichten mitbringt. Plattformen wie Vinted oder lokale Vintage-Läden verzeichnen stetig wachsenden Zulauf, vor allem bei jüngeren Zielgruppen. Auch Möbel und Technik aus früheren Jahrzehnten werden gezielt gesucht, nicht weil sie billiger sind, sondern weil sie sich von der Massenware unterscheiden. Dieser Trend hin zum Wiederverwenden, Umarbeiten und Selbermachen zeigt sich quer durch alle Lebensbereiche.

Die tatsächliche Änderung des Kaufverhaltens

Zahlen belegen den Wandel: Laut einer YouGov-Studie aus dem Jahr 2023 haben über 60 % der 18- bis 34-Jährigen in Deutschland im vergangenen Jahr Secondhand-Kleidung gekauft. Der Trend zur Wiederverwertung betrifft aber längst nicht nur Mode. Auch Haushaltswaren, Technik und sogar Baustoffe werden zunehmend gebraucht gehandelt – etwa über Plattformen wie Kleinanzeigen oder nebenan.de. Gleichzeitig wächst das Interesse an Reparaturinitiativen und DIY-Projekten. Repair-Cafés, Näh-Workshops oder Online-Tutorials zum Möbelaufarbeiten erfreuen sich großer Beliebtheit. Diese Entwicklung zeigt, dass viele Konsumenten aktiv nach Wegen suchen, sich vom schnellen, anonymen Konsum zu lösen – zugunsten von langlebigen, individuellen Lösungen.

Benjamin Krischbeck
Benjamin Krischbeckhttps://7trends.de
Benjamin Krischbeck, Jahrgang 1977, lebt mit seiner Familie in Augsburg. Als freier Journalist schrieb er bereits für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, taz – die tageszeitung, Berliner Zeitung, Spiegel Online und die Süddeutsche Zeitung. Der studierte Wirtschaftsjurist liebt ortsunabhängiges Arbeiten. Mit seinem Laptop und Coco (Zwergpinscher) ist er die Hälfte des Jahres auf Reisen.

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